Match 6: NO HOLDS BARRED
Matt FREAKIN' Hardy
vs. Edge

Es gibt eine lange Liste an Geschichten, die man mit einer Überschrift wie bspw. „Storylines aus denen etwas sooo großes hätte werden können“ betiteln könnte. Anders als die anderen Matches auf dieser Card zerrt dieses Aufeinanderauftreffen aus dem Durst, der durch die Matt Hardy / Edge Fehde geweckt aber nie gestillt wurde. In einem Alter, in dem man Mark-Outs nur noch aus fernen Erinnerungen oder Erzählungen jüngerer Fans kennt, hat es World Wrestling Entertainment geschafft einen solchen wieder bei mir zu erzeugen. Einen echten, einen großen – nicht dieses Gefühl, etwas „wie einen Mark-Out“ erlebt zu haben – nein, definitiv einen Mark-Out erlebt zu haben.

Das war der Moment, der Augenblick an dem Millionen Fans auf der ganzen Welt mit aufgerissenem Mund und weit geöffneten Augen auf den Bildschirm starrten und alles in Frage stellten, was sie dachten und wussten. Das Internet, bisher ihr größter Verbündeter im Verstehen des Sports-Entertainment hat die Seiten gewechselt oder um im Jargon zu bleiben: Das Internet ist zu Vince McMahon geturnt.

Alles begann dort, wo der Zauber entzaubert wird, auf der größten Plattform der Welt, in dem sich Ungebildete ihre eigene Wissenschaft erzeugen und sich selbst akademisch verhalten zu Themen, die niemals für so etwas erschaffen wurden. Es begann als im Internet verkündet würde „Amy Dumas betrügt Matt Hardy mit Adam Copeland“. Eine Überschrift mit der das Internet nur ihr eigenes Clientel erreichte, denn der gemeine Wrestlingfan hätte mit dieser Nachricht wohl kaum etwas anfangen können – außer, dass er Matt Hardy aus dem Team Extreme kennt. Lita, auch On Air zeitweise als Freundin von Matt Hardy angesetzt, war lange nach Ende dieser Storyline noch mit Matt liiert und die beiden galten als DAS Traumpaar im Business. Edge verband eine langjährige Freundschaft mit den beiden, vor Allem aber mit Matt Hardy. Das Szenario ist so menschlich, so nah und war, dass der daraus entstandene Skandal etwas ironisch und überspitzt wirkt, aber wie so oft in der realen Welt, wurden auch diese drei Menschen in ihrer realen Welt volle Breitseite erwischt und es ergab sich, dass sich Edge die Freundin seines Kumpels Matt Hardy schnappte und mit ihr den Tango tanzte.

Das Internet bauschte diese Geschichte auf bis zum Abwinken, immer wieder, zeitweise fast täglich erreichten die Boards dieser Welt neue Nachrichten über die Dreiergeschichte, zunächst noch angenehm wertfrei. Das änderte sich dann schlagartig, als WWE.com die Entlassung von Matt Hardy bekannt gab. Die Entlassung des Gebeutelten! Welche Gründe das auch immer hatte (man verkaufte diesen Schritt mit der Standardbegründung, keine Ideen für Hardy zu haben), für das Internet war der Grund klar: Hardy, Edge und Lita konnte nicht mehr unter einem Dach, in einer Firma bestehen – einer musste gehen. Ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit feuerte man den armen Matt Hardy, nur weil man mit Edge gerade so viel vorhatte, unmittelbar vor seinem lang vorbereiteten Main Event Push stand.

Spätestens nach dieser Aktion war es vorbei mit „wertfrei“ und die Community bezog Stellung. Matt Hardy – das war die neue Devise, das neue Leitbild. Nach seiner Entlassung erntete Hardy größere Pops und Sprechgesänge in den WWE-Shows als es jemals bei seiner Anwesenheit der Fall war. Die WWE tat nun etwas, dass damals verschrien wurde, aber einer der wichtigsten Schachzüge dieser Geschichte war. Sie spielte gegen die Fans, um den Skandal am Leben zu halten. Zwar war die Beziehung zwischen Edge und Lita bereits wieder am Ende – aber man ließ Lita tatsächlich an die Seite von Edge turnen, zeigte die beiden küssend und schlabbernd im Ring und präsentierte sie als neues Traumpaar des Wrestling. Derweil klagte Matt Hardy seinen neuen Jüngern im Internet sein Leid und wurde immer mehr zum Kultstar der Szene. Die Aktionen der WWE deutete man als öffentliche Verhöhnung Hardys und die Fans stellten bei jeder sich bietenden Gelegenheit dar, auf wessen Seite sie in diesem Krieg kämpften. „We want Matt“ war ein Sprechgesang, der nicht zu selten absolut Gänsehaut bei mir erzeugte und nicht nur das – er schien auch McMahon aufgeweckt zu haben. Edge und Lita wurden zu den Top Heels der RAW-Shows und Matt Hardy bereitete in seinen Selbstmitleidsreden langsam sein Comeback in den Ring bei ROH vor, das von Woche zu Woche mehr mit immenser Spannung erwartet wurde. Die Reaktionen waren unglaublich, als Matt den Ring der Ehre betrat. Die Fans hatten ihren Messias wieder, er trotzte dem Feind und lebte sein Leben weiter während man die Freakshow mit Lita und Edge gnadenlos fortsetzte. Niemals nahm die WWE Stellung zu diesem Thema, niemals wurde auch nur ansatzweise in diese Richtung geshootet, einzig die Fangesänge der Massen hielten Matt Hardy in der Liga am Leben. Das änderte sich beim Comeback der ECW beim ersten One Night Stand in der wohl unterhaltsamsten Promo des Jahres 2005. Paul Heyman shootete gegen alles und jeden, was WWE zu seinem PPV gesandt hatte. So wandte er sich auch an Edge und sagte, er werde zu ihm nun endlich mal öffentlich die zwei Worte sagen, die sich sonst keiner traut zu erwähnen: „Matt FREAKIN’ Hardy“! Ein Schockmoment.

Aber nicht DER Moment. Klingt bisher nach einer interessanten Geschichte, aber „der Moment“ steht noch aus. Der Mark-Out. Er fand statt bei einer RAW-Show im Sommer 2005. Edge brachte gerade eine Fehde mit Kane hinter sich und arbeitete sich langsam in Richtung Main Event. In dieser Show hielt er ein Statement ab, als er auf einmal von einem wütenden Mann attackiert wurde. Dabei wirkte die Kameraführung, Edges Gesicht und die heraneilende Hilfe um vieles hektischer als bei abgesprochen Attacken. Der Attackierer war Matt Hardy und in derselben Show attackierte Hardy Edge noch ein zweites Mal auf dieselbe spektakuläre Art und Weise im Inneren de Halle. Niemand wusste, was hier passiert war. War es ein Work? War es ein Shoot? Wenn es Work war, wann begann er? Was an dieser ganzen Geschichte war echt und wann begann es Fake zu werden? WWE schrieb an diesem Abend Geschichte und die Wrestlingwelt hatte keine Probleme mehr damit, Gesprächsstoff zu finden. Alles redete von Matt Hardy.

Und genau an dieser Stelle mache ich einen Cut. Denn was man tat, war Hardy zurückkehren zu lassen wie einen Standard-Midcarder. Er trat schon zwei Wochen später bei RAW an und besiegte Snitzky und hielt Promos ab, was bekanntlich nicht zu seinen Stärken gehörte. Langsam ließ man die Luft aus der Storyline wie aus einem defekten Luftballon. Beim Summerslam dann interessierte sich kaum jemand für die Weiterführung der Geschichte, als Edge Matt Hardy im ersten Aufeinandertreffen nahezu squashte. Diese Geschichte hat so viel mehr verdient, diese Geschichte hätte den PPV headlinen können. Auf einer Card, die ich mir wünschen darf ist dieses Match dabei, vernünftig aufgebaut, intensiv, No Holds Barred. Und der Sieger ist Matt Hardy, blutend über einem zerstörten Edge. Ein Blick zu Lita und Matt geht mit gesenktem Haupt aus der Halle und verlässt die Liga um weiter independent unterwegs zu sein. Das ist mein Ende dieser Geschichte.

Das Match, das uns verwehrt blieb.