Vor einigen Jahren noch waren Gimmick-Matches Sensationen. Sie waren rar und versprachen bei der bloßen Ansetzung ein Highlight auf einer jeden Showcard. Heute ist das leider anders. Der unbändige Durst nach Spektakel hat viele der magischen Ideen abgenutzt und zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Jede Fehde, die etwas auf sich hält, wird heutzutage mit einem Gimmickmatch "bereichert" und die Kampfklausel dient nicht zu selten einzig und allein dazu, etwas langwieriges und schon mehrmals Dagewesenes wieder ein bißchen an Interesse zu verleihen. Wahre Bookingkunst liegt darin, Geschichten über lange Zeit interessant zu halten - interessant der Geschichte wegen. Heute definiert sich der Booker oftmals als Künstler, weil er das dritte Aufeinandertreffen ein und derselben Wrestler in ein Last Man Standing Match verpackt oder den Ring einfach von einem Maschendrahtgerüst umzäunen lässt. Das Gimmickmatch gewinnt viel zu sehr an Bedeutung. Na klar, freue ich mich immer wieder über die Ansetzung eines Leitermatches. Das Gefühl, etwas Großes zu erleben, habe ich aber schon lange nicht mehr, wenn ich eines sehe. Was hatte doch der Steel Cage einst eine Aura - lässt man heute gar einen belanglosen Johnny Nitro ein solches Match als Opener eines Pay Per Views bestreiten. Und auch bei eben diesem Match bei der 2007er New Year's Revolution lebte der Kampf nicht etwa von einem hervorragenden Aufbau der Fehde zwischen Nitro und Jeff Hardy, den man seit dem letzten Aufeinandertreffen der beiden betrieb - sondern nur allein weil es dieses Mal halt in 'nem Käfig war. Der wahre Booking-Künstler hätte es schaffen müssen, auch ein normales Match zweier Athleten nach langer Zeit interessant gestalten zu müssen.
Versteht mich nicht falsch - ich bin pro Gimmick-Matches. Aber durch genau die beschriebene Vorgehensweise zerstört man den Zauber eines Gimmickmatches nach dem anderen. Nur durch diesen Umstand ist erst der ganze Bullshit entstanden, den ich in dieser Reihe beschreibe - denn wo den Schreiberlingen ein "langweiliges" Käfigmatch oder ein abgenutztes Leitermatch nicht mehr reicht, da müssen sie innovativ werden, um mit ihrer Matchidee noch Käufer zu werben. Eben dieser Kreativität entspringen dann Situationen, die Jerry Lawler mit einem nackten großen Zeh im Mund erscheinen lassen und großartige Gimmicks wie das von Goldust zerstören, indem man ihn in Damenunterwäsche präsentiert. Nicht alle neuen Ideen sind zwangsläufig schlecht - nein, natürlich nicht. Wie habe ich beispielsweise damals der ersten Elimination Chamber entgegengefiebert. Man, war das toll. Dabei war die Besetzung bis auf Triple H und Shawn Michaels damals echt nicht spektakulär. Niemand rechnete auch nur im entferntesten mit Siegen von Booker T, RVD oder Kane und auch Chris Jericho war eigentlich chancenlos. Und doch umgab das Match eine geniale Spannung - weil es halt die Elimination Chamber war. Teil 2 konnte dies fast annähernd so gut, Teil 3 folgte dann zu schnell darauf und als die Chamber schließlich "Extreeeme" wurde hatte man auch die Magie eines weiteren tollen Gimmickmatches in Rekordzeit zerstört.

Acht Beispiele für den Wahnsinn, der aus dem beschriebenen Umstand hervorkam, habe ich in den vergangenen vier Ausgaben bereits genannt. Die beiden meiner Meinung nach größten Fehltritte folgen im direkten Anschluss an diese Einleitung. Was unterm Strich am Ende stehen bleibt, ist eine Liste von zehn Matches, die alle Teil von mehr oder minder großen Geschichten der vergangenen fünfzehn Jahre waren - und zweifelsohne alle nicht zu den Glanzstücken der Bookingkunst zählten und gewiss nicht als solche in die Geschichtsbücher eingehen werden. Und doch sind sie alle auf ihre spezielle Art und Weise legendär geworden. Eine sehr spezielle Legende, der man mit Achtung entgegentritt, sich aber ganz gewiss niemals wieder zurück ersehnt.

No Mercy 2003
"I Quit" No Holds Barred Match
Vincent Kennedy McMahon vs. Stephanie McMahon

Diese Serie entstand in einer Zeit, in der sich Vincent Kennedy McMahon, seineszeichens Chairman des Konzerns World Wrestling Entertainment, stolz "ECW World Champion" nennen durfte. Die Kritik an einer Überpräsenz der McMahon-Familie innerhalb der wöchentlichen WWE-Shows war also selten aktueller als zum Zeitpunkt dieser Niederschrift. Wenngleich diese Kritik auch schon oft aufkam, diente die Präsenz der Milliardärsfamilie doch in vielen Beispielen aber einem guten Zweck - nämlich dem Aufbau junger Stars, die vom unbestreitbaren Charisma der McMahons profitieren sollten. Noch heute sehe ich in der Vince-Austin-Fehde einen der genialsten Schachzüge der letzten 15 Jahre. Im Jahr 2003 bewertete sich die Familienbande jedoch ein wenig über. Man verzichtete vollständig auf die Einbeziehung von Wrestlern und stellte nur noch eine verkommene Seifenoper vierer Charaktere dar, die mit dem Vorantreiben tatsächlicher Wrestling-Storylines ebensoviel zu tun hatte wie Unterhaltung mit Neun Live. Das epochale Aufeinandertreffen von Vince und seinem Sohn Shane hatte man bereits hinter sich und die gute Linda bezog man damals glücklicher Weise noch nicht aktiv in die Storylines mit ein, was eine Fehde zwischen Daddy und Töchterlein hervorbrachte, die absurder nicht hätte sein können. Tatsächlich ging man soweit, ein Match zwischen den beiden bei einem PPV festzusetzen. Inszeniert war das Ganze als Machtkampf, bei dem sowohl Stephanie's Posten als General Manager von Smackdown als auch Vince's Posten als Chairman zur Disposition stehen sollten. Ein Streit zwischen Linda und Vince sollte das Szenario unterstreichen und so kam es dann schließlich bei No Mercy 2003 zum krönenden Abschluss einer surreal wirkenden Farce. Das Match wurde angekündigt als "I Quit" Match, was aber in diesem Fall nicht bedeuten sollte, dass man nur durch Aufgabe gewinnen konnte, sondern dass der Verlierer seinen Posten kündigen musste. Wäre es nicht grotesk genug, dass der Vater vor Millionenpublikum auf seine Tochter einprügelt, gestaltete man den Kampf zusätzlich noch als No Holds Barred Match. Schlussendlich warf Linda für ihre Tochter das Handtuch und beendete damit nicht nur einen der schwärzesten Momente des Bodensatzwrestling, sondern erinnerte auch gleich noch an ein weiteres doofes Match aus dieser Reihe. Ein Gutes hatte das Ganze am Ende aber doch: Stephanie McMahon verschwand von den Fernsehbildschirmen. Nur Vince, der sah sein Potential noch lange nicht verbraucht. Noch lange nicht.

Unforgiven 1999
"Kennel from Hell Match" for the WWF Hardcore Championship
the Big Boss Man vs. Al Snow

Womit wir beim König der dooftsen Matches der Neuzeit wären. Viel Begründungen habe ich bereist verschossen, warum ein Gimmickmatch "doof" sein kann - aber das Kennel from Hell Match zum Ende des Jahrtausends vereinte all diese Argumentation. Kritikpunkt eins: Al Snow und der Big Bossman waren 1999 sehr sehr weit davon entfernt, eine wirklich große Rolle bei World Wrestling Entertainment zu spielen, die ein aufwändig inszeniertes und neu entworfenes Gimmick Match Spektakel rechtfertigt hätte. Es trafen also zwei Männer aufeinandern, die ungefähr so over bei den Fans waren wie Al Wilson und das in einem Match, dass so dermaßen overbookt war und zudem in der Umsetzung auch noch dermaßen nach hinten los ging, wie es absolut beispiellos in der Geschichte der WWE ist. Kennel from Hell - das war ein Stahlkäfig umrandet vom Hell in a Cell Käfig. Das klingt jetzt bis auf die Tatsache, dass die Protagonisten schon allein einer der beiden Kosntruktionen schwerst unwürdig waren, noch gar nicht sooo doof. Zwischen den beiden Käfigen befand sich aber zudem noch ein Rudel gefräßiger Hunde, das anstatt gefährlich rumzukläffen lieber blöd in der Gegend rumlag und auf die Matten kackte. Wie es sich für ein Hardcore-Titelmatch gehörte, zeigten die Teilnehmer nicht eine reguläre Wrestlingaktion. Stattdessen zog man das Match dadurch in die Länge, dass der Bossman und Al Snow abwechselnd mit allem möglichen Zeug auf sich einschlugen und dafür arrogante aber zutiefst berechtigte Nichtbeachtung des Publikums und der anwesenden Hunde ernteten. Schließlich war es ein Plastikkopf, der den Bossman ausknockte und Al Snow damit den Sieg brachte. Es fällt mir schwer, einen Satz zu formulieren, der sowohl die Absurdität dieses Matches ausdrückt als auch gleichsam einen würdigen Abschluss dieser Serie darstellt.
Wenn Scheiße lang machen würde, hätten Al Snow und der Big Bossman den Mond an diesem Abend im Knien am Arsch lecken können - und viele Männer lachten sich vermutlich an diesem Abend ins Fäustchen. Denn ob sie Windeln tragen sollten, Handtücher werfen oder in Schweinepampe baden - sie mussten wenigsten niemals in ihrer Karriere an einem Kennel from Hell Match teilnehmen, Hallelujah.

Das ist vielleicht Deine Meinung, Mann!