"Böse, dominant und radikal"

Ha! DAS ist ein Schocker, was? Aber nein, muss es doch nicht. Die Top20 - die ultimative Vorstufe zur absoluten Elite. Rechnen wir das mal hoch auf die betrachteten 10 Jahre, würde es bedeuten, dass gerade mal die besten 2 Teams eines jeden Jahres eine Chance erhalten würden, Teil eben dieser Top20 werden zu können. Klar, heutzutage muss man dafür nicht allzu viel drauf haben - wenn man überhaupt Teil eines festen Tag Teams ist, stehen die Chance aufgrund der mangelnden Dichte in der Division schon mal grundsätzlich gut, zu den besten zwei zu gehören. Diese tatsächliche Platzierung eines auf den ersten Blick überdurchschnittlich unscheinbaren Teams verwundert umso mehr, da es halt nicht um ein Team aus den genannten Zeiten stammt, in denen die Dichte der guten Tag Teams in der Division in etwa vergleichbar war mit der Dichte von Pinguinen auf nem Rummelplatz - sondern aus einer Zeit, genauer gesagt die späten Neunziger bis hin zur Jahrtausendwende, in der es vielversprechende Teams gab wie eben jene fluglegastenischen Vögel im Linux-Headquarter. Genug der Pinguin-Vergleiche, kommen wir endlich zu Kaientai, Platz 20 der besten Tag Teams der Jahre 1998 bis 2008, und zwar nicht die jämmerliche Ur-Version, noch die Sushi-dX, sondern das Zwei-Mann-Team bestehend aus Sho "The Artist to be known as 'Kung'" Funaki und Taka Michinoku. Sie waren nicht besonders erfolgreich und sie spielten nie eine auch nur ansatzweise für den Geschichtsverlauf relevante Rolle in den Shows - und doch zählten Taka und Funaki zu DEN Gimmicksensationen ihrer Zeit. Die beiden hatten eigentlich ausnahmslos alles, was man brauchte, um bei WWE NICHT erfolgreich zu sein und sie verbrachten Monate und fast Jahre damit, eben jenem Potential vollends zu entsprechen. Eines Tages allerdings schritt Taka Michinoku gemeinsam mit seinem langhaarigen Freund durch die Rampe, erhob ein Mikro und… bewegte die Lippen. Was zu hören war, war eine dunkle akzentuierte Stimme, die die Gegner verfluchte und ihnen mitteilte, dass das Team, welches vor Ihnen steht in erster Linie eines ganz bestimmt war: Böse! Nach der fein synchronisierten Ansprache übernahm Funaki das Mikro und es ertönte Mal für Mal, Woche für Woche das legendäre "Indeed" durch die Boxen. Ohne dieses eine Wort wäre Funaki heute nicht Kung Fu und schon lange kein Angestellter mehr von World Wrestling Entertainment. Das Tag Team Kaientai bleibt der unendliche Beweis, dass WWE auch seine Lichtblicke hatte, dass man es eigentlich kann, dass man eigentlich gar nicht unbedingt immer so ist, wie viele schimpfen. Kaientai. Das zwanzigst beste Tag Team der vergangenen 10 Jahre.

Ron Simmons. Bei WWE ein ziemlich unbeschriebenes Blatt, bei der Konkurrenz allerdings Teil der langen und ehrvollen Liste derer ehemaliger World Heavyweight Champions. Es verwunderte also kaum, dass man diesen doch großen Namen bei seiner Verpflichtung in McMahon-Country nicht als eben jenen World Champion in der Rolle seines eigenen Gimmicks debütieren ließ, sondern eingewickelt in Styropor-Maske und -Outfit als Gladiator aus dem Weltall. Ich liebe es, wenn vermeintlich harmlose Sätze in solchen Krachern enden. Gladiator aus dem Weltall. Faarooq Asad - Space Gladiator. Verdammt, wenn ich's mir recht überlege, ist das schon fast wieder so unglaublich weird, dass es fast schon wieder gut ist. Egal. Ich war nicht der einzige, der diese offensichtliche Ironie anno 1997 noch nicht erkannte - so auch das Booking-Team, das Faarooq nicht nur schnell des Nachnamen sondern auch des Gladiatoren-Gimmicks entledigte. Man vollzog den Gimmickwechsel mitten in einer Fehde mit Ahmed Johnson, einem aufgepumpten Bodybuilder, den uns das Office als neuen Superliebling aufzudrücken versuchte. Nach dem Ende des Space Gladiators gab man Faarooq das Gimmick des Black-Power-Afroamerikaners und es stand ihm besser als Howard Finkel die Fliege. Mit Clarence Mason als Manager ließ die Erhebung dieses sensationellen Gimmicks in den Stable-Stand nicht lange auf sich warten. PG13, Crush, Savio Vega, Faarooq, Mason und ein D-Lo Brown in inaktiver Rolle waren die Ur-Version der "Nation of Domination", dem wohl besten Midcard-Stable der vergangenen zehn Jahre. Aus ihr entstanden tolle Karrieren - D'Lo Brown, Faarooq, Mark Henry, der Godfather, alle starteten nach dem Ende ihrer NoD-Zeit gewaltig durch, allen voran natürlich The Rock, den das Stable zum World Champion und letzten Endes zu dem Star, der er heute ist, kürte. Die Nation war purer Rock'n'Roll. Sie bildeten sich zum absolut richtigen Zeiten mit den richtigen Leuten und - das ist etwas, was wenig erfolgreiche Gruppierungen von sich behaupten können - lösten sich auch zum exakt richtigen Zeitpunkt wieder auf.

Knappe sechs Jahre nach Kaientai schaffte man es wieder. Man nahm drei laut Papierlage zum Scheitern verurteilte Charaktere und kreierte für sie ein Gimmick, von dem innerhalb kürzester Zeit die ganze Wrestlingwelt schwärmte. Dabei war man auf Super Crazy, Juventud Guerrera und Psicosis bei World Wrestling Entertainment doch nur aufmerksam geworden, weil alles seit der irren "One Night Stand"-Ankündigung irgendwie auf der Welle des ECW-Hypes durchzudrehen schien. Auf der Suche nach schönen Kampfkonstellationen stolperte man unter anderem über die drei Mexikaner, die die alte ECW einst mit High Flying Action bereicherten. Die Verträge waren schneller unterzeichnet, als Rey Mysterios Legende per 619 im Hammerstein Ballroom zerstört war und so dauerte es nicht lange, bis Super Crazy, Psicosis und Juventud bei Smackdown debütierten. Zunächst griffen sie in einige beliebige Cruiserweight-Matches ein, um klarzustellen, dass es eben jene Division sein sollte, die sie aufmischen werden, bis sie erstmals das Mikrophon erhaschten und der Welt mitteilten, dass sie keine einfachen Mexikaner seien, sondern die einzigartigen "Mexicools". Der Name war genial, die drei passten wunderbar zusammen, hatten eine tolle Entrance-Musik und der Gag mit den Rasenmähern setzte ihnen die Haube auf. Anscheinend als Heels gedacht, waren die Mexicools eigentlich ab Sekunde eins mindestens Tweener und rechtfertigten ihren Aufbau bereits bei ihrem ersten Auftritt. Leider machte man alle Ankündigungen nicht wahr und ließ sie vollständig auf die Cruiserweight-Division los, sondern zog 6-Mann-Konstellationen bspw. gegen die Blue World Order vor. Nach Guerreras Abgang waren Psicosis und Super Crazy endgültig in der Tag Team Division angekommen und obwohl der Push zu diesem Zeitpunkt schon vollständig versandet war, gehören die Mexicools zu den wenigen Teams, die mich nicht eine einzige Minute lang langweilten.

Nun gut, Super Crazy, Funaki, D'Lo Brown - das sind zweifelsohne alles herausragende Namen, aber langsam wird es in dieser vermidcardeten Top20 endlich mal Zeit für eine geballte Ladung Prominenz. Ja, und dann dürfte auch deutlich werden, warum ich es mir erlauben konnte, speziell mit den Mexicools und Kaientai gleich zwei so unprominente Einträge in diese Region zu erheben - weil das, was jetzt kommt selbst die Bushwhackers, Well Dunn und das Tekkno Team 2000 in einem wett gemacht hätte. Die Gerüchte gingen zum Jahreswechsel 2002/3 wie ein Lauffeuer durch die hiesigen Internetforen - man plante doch tatsächlich eine 4-Horsemen-Version bei WWE, mit Ric Flair und Triple H als Leitfiguren. Der Fan war empört. Und WWE kehrte doch alles zum Guten, mit dem Einsatz erstaunlich kleiner Mittel. Sie machten tatsächlich aus der sprichwörtlichen Mücke einen Elefanten und der Fan musste feststellen, dass er selbiges mit seiner Schwarzmalerei tat. Das Stable wurde formiert und neben Flair und Helmsley sollten es der grünschnäblige Randy Orton und der scheinbar talentfreie Batista sein, die das Pferdemann-Relikt beschmutzten. Was aber tat WWE? Sie schissen auf die Horsemen und nannten das ganze "Evolution" - sämtliche Kritiker verstummten und jedweder Beteiligte begann zu staunen. Es gibt so sensationell wenige Beispiele von Stables, bei denen alles, aber auch wirklich alles, so unwahrscheinlich richtig gemacht wurde wie bei der Evolution. Selbst der spontane Ausfall von Batista und Orton störte das Booking-Team nicht und so schaffte man es, die Evolution über ihre Lebensdauer zu einem Stable zu formen, welches in einem Atemzug mit der dX, der nWo und eben jenen Horsemen genannt wird. Flair und HHH standen Pate, aus Orton und Batista wurden zwei der größten Stars des modernen Business. WrestleMania-Headliner, mehrfache World Champions. Und ja, ganz plötzlich sprach auch niemand mehr von einer Horsemen-Kopie und ganz genau deshalb wäre ich sehr gespannt wie die Wrestlingwelt heute auf ein neues Stable aus vier anzugtragenden Gentlemen reagieren würde - ich wette, der Ausspruch "Evolution-Kopie" würde mindestens genauso häufig fallen wie der zur Kopie der vier apokalyptischen Reiter.

Hach ja. Und als wäre das alles nicht schon prominent genug, schiebe ich gleich noch ein paar der größten Stars der Industry hinterher. Stars, über die es immer ein wenig weh tut zu berichten, die dieses Spotlight aber frei jeglicher Einschränkung verdienen. Mindestens zwei von ihnen sind nicht mehr unter uns, bei einem weiß man das immer nicht so genau. Der vierte und bei WWE leider unscheinbarste ist heute noch manchmal zu sehen, wie er aufbrausenden Jungspunden gemeinsam mit einer Reihe gesichtsloser Referees zur Hilfe eilt. Zwei schockierende Todesfälle, ein ungeklärtes Schicksal und eine unglamourös beendete Karriere, das ist die Bilanz der Radicalz aus heutiger Sicht. Doch so dramatisch die Wendungen in den Karrieren von Dean Malenko, Perry Saturn, Eddie Guerrero und Chris Benoit (in aufsteigender Reihenfolge - merken! - wer weiß, wann man es bei "Wer wird Millionär" mal braucht, um auf den Stuhl zu kommen) auch waren, so pompös war hingegen ihr Start bei WWE. In fast identischer Zusammensetzung (streiche Eddie, setze Shane Douglas) pushte man das Stable noch wenige Wochen vor ihrem überraschenden WWE-Debüt bei World Championship Wrestling als "Revolution". Dann, plötzlich, am berühmten 31.01.2000 die schockierenden Bilder, die ich Dank der unterdurchschnittlich ausgeprägten Infrastruktur meines Elternhauses vollkommen ungespoilert aufnehmen durfte: vier der meist beachteten WCW-Stars (und WCW war böööse. Nicht so wie Kaientai, aber trotzdem für den WWF-Fan immer noch ganz schon böööse) tauchten ganz plötzlich geschlossen bei RAW auf. Es war ein innerlicher Sieg über das doofe Konkurrenzunternehmen und gleichzeitig die Bereicherung um vier tolle und interessante Athleten. Speziell Eddie und Benoit wurden ohne Umwege gepusht, während Saturn und Malenko nie mehr als Sidekicks der beiden Stars waren. Während Eddie zunächst die Midcard unsicher machte, stopfte man Chris Benoit schnell in den Main Event, vergaß dabei aber nie den Stable- bzw. Team-Gedanken. Die Radicalz traten trotz ihrer Singles-Pushs weiterhin als Einheit auf, die immer mal wieder mehr oder weniger bröckelte. So oft verbockte man die großen Wechsel zwischen den beiden großen Konkurrenzligen - doch dieses eine Mal, vielleicht zusammen mit dem Jericho-Beispiel fast das einzige Mal, gelang es in anmutender Perfektion.

Das ist vielleicht Deine Meinung, Mann!